Schonmal auf der „Achse des Bösen“ gestanden? Und ein bisschen umgesehen? Und Menschen getroffen, die da wohnen? Ich nicht, du wahrscheinlich auch nicht, aber Helena Henneken hat es getan! Sie ist 59 Tage mit dem Rucksack durch den Iran gereist und brachte überraschende Erlebnisse, Beobachtungen, Fundstücke – und vor allem Begegnungen mit: Hauptstädter und kurdische Dorfbewohner, Mullahs und anarchistische Studenten, Polizisten und Künstler, illegale Boyfriends und unzählige Ali Schumachers. Menschen, die „We are terrorists“-Witze machen – und Fremde spontan in ihre Familie einladen. Menschen, die den Austausch mit der Welt suchen – obwohl sie selbst oft hinter dem Image ihres Landes verschwinden. Menschen, die stolz auf ihr Land sind – und es gleichzeitig verlassen wollen. Und weil daraus ein außergewöhnliches Buch entstanden ist, habe ich Helena gleich mal zum Interview gebeten!
Helena, bitte stelle dich vor. Wer bist du und was machst du so den lieben langen Tag?
Ich arbeite selbständig als Creative Coach und Kommunikationsberaterin für Menschen, Marken und Organisationen – begleite sie in persönlichen sowie Team-Entwicklungsprozessen, in der Kreation und Realisation von neuen Ideen und berate Unternehmen in Kommunikationsfragen. Das mache ich, wenn ich Zuhause in Hamburg bin, und daneben reise ich leidenschaftlich gerne! Daraus ist auch mein aktuelles Herzensprojekt entstanden: „they would rock. 59 Tage Iran.“ Ein Buch, das von einer Reise inspiriert wurde, die ich im Frühjahr 2013 gemacht habe.
Wie bist du auf die Idee gekommen in den Iran zu reisen?
Aus purer Neugier… Auf einer anderen Reise in Kirgisistan habe ich Reisende getroffen, die vorher im Iran waren und behauptet haben, dass das ein wunderbares Reiseland sei. Ehrlich gesagt war meine Reaktion zu dem Zeitpunkt noch: „Ist das nicht viel zu gefährlich…?“ Aber meine Neugier war trotzdem geweckt. Ich habe mich dann weiter informiert – diverse Sachbücher und Reiseführer gelesen, iranische Filme geguckt, ein bisschen Farsi gelernt – und plötzlich schon in Deutschland ganz viele Iraner, Halb-Iraner, Iran-Fans kennengelernt, die mir mehr von dem Land erzählt haben. Und je mehr ich über den Iran erfahren habe, desto neugieriger wurde ich auf das Land.
Hattest du vor deiner Reise Bedenken oder Angst vor dem, was auf dich zukommt oder passieren könnte?
Angst hatte ich nicht wirklich. Die wurde mir durch die wunderbaren Begegnungen vor der Reise bereits genommen. Aber ich war definitiv sehr gespannt auf alles, was mich in dem Land erwarten würde… Denn trotz der ganzen Vorbereitungen war ich mir bei Einreise immer noch nicht sicher, ob es wirklich eine gute Idee ist, alleine als Frau in den Iran zu fahren – oder ob ich nicht doch nach wenigen Tagen meine Sachen packen und in die Türkei weiterreisen würde. Ich hatte extra keinen Rückflug aus dem Iran gebucht, um jederzeit über den Landweg spontan ausreisen zu können.
Was war dein erster Eindruck vor Ort?
Ich bin frühmorgens um 3 Uhr in Shiraz gelandet, eine Stadt im zentralen Süden des Landes. Der Einreisestempel war schnell im Pass, und als ich dann die Sicherheitszone verließ, stand da eine Gruppe von Iranern, die lächelnd „Welcome to Iran!“ gerufen haben. Fand ich ausgesprochen nett, wie begeistert sie ihre Verwandten am Flughafen begrüßen – bis ich kapiert habe, dass sie mich damit meinen! Also einen wildfremden Menschen, der gerade als Gast ihr Land betreten hat. Das hat mich sehr gerührt. Und ab dann war „Welcome to Iran!“ auch definitiv der Rote Faden, der meine Reise geprägt hat.
Wie kam es dazu, dass du letztendlich dann doch so lange dort geblieben bist?
Weil ich so begeistert von Land und Leuten war – und meine Reise so überraschend anders verlief, als ich das jemals erwartet hatte. Das lag vor allem an den Iranern: An ihrer unvergleichlichen Gastfreundschaft, mit der sie mich aufgenommen und mir ihr Land gezeigt haben. Sehr interessiert, weltoffen und kritikbereit – ganz anders als das Bild, das ich vorher vom Iran hatte. Sie haben es mir wirklich leicht gemacht, die Angst vor „dem Unbekannten“ zu verlieren, in ihr Land einzutauchen, mich sehr willkommen und sicher zu fühlen. Und neben den wunderbaren Menschen gibt es im Iran natürlich auch noch die unzähligen Kulturschätze und eine sehr vielfältige Natur zu entdecken.
Wann kam die Idee aus der Reise ein Buch zu machen?
Die Idee zum Buch ist nach und nach auf der Reise gewachsen – vor der Reise hatte ich den Plan nicht. Ganz besonders inspiriert hat mich, dass sich mein Bild des Landes durch die Reise quasi komplett gewandelt hat. Ich habe eine Seite des Landes erlebt, von der ich hier in Deutschland neben den politischen Themen vorher so gut wie nichts mitbekommen habe: die Menschen. Viele Erlebnisse und Begegnungen mit ihnen haben mich so beeindruckt und berührt, dass es irgendwann fast schon ein Bedürfnis war, das mal aufzuschreiben – und ein Buch daraus zu machen, das so viel Spaß macht, dass es auch andere zum Entdecken dieser anderen Seite des Landes einlädt.
Glücklicherweise habe ich zurück in Deutschland dann tolle Menschen gefunden, die diese Buchidee ehrenamtlich unterstützt haben. Allen voran die Designerin Frizzi Kurkhaus, die das Buch so liebevoll gestaltet hat, dass es wirklich Spaß macht: Mit vielen Bildern, Zeichnungen – und man liest es „von hinten nach vorn“, in persischer Leserichtung…
Was genau hat der Titel zu bedeuten?
Der Titel ist durch eine Unterhaltung mit einer 16-jährigen Schülerin entstanden: Sie hat mir lebhaft berichtet, wie schwierig die Situation für sie und ihre Freunde im Iran gerade ist – dass sie voller Energie stecken und durch Medien und Internet sehr viel wissen würden, aber keine Möglichkeit hätten, dies auch einzusetzen, geschweige denn sich frei zu entfalten. Stattdessen würden sogar schon unter Teenagern Depressionen stark zunehmen… weshalb sie als großer USA-Fan mit 18 umgehend dahin auswandern wolle.
Und dann hat sie einen Satz gesagt, der viele meiner Eindrücke und Erlebnisse im Iran irgendwie auf den Punkt gebracht hat – auch wenn die Iraner aus meiner Sicht schon heute rocken: „If my people lived in another country, they would rock!“
Was war das Wichtigste was du während deiner Zeit im Iran gelernt hast?
Im Iran gibt es ein sehr eigenes Höflichkeitssystem: Ta’arof. Eine wichtige Regel darin ist, dass man jedes Angebot dreimal ablehnt, bevor man es annimmt – so dass der andere noch die Chance hat, seine Einladung zurückzuziehen, falls er aus Höflichkeit ein Angebot gemacht hat, das er sich eigentlich gar nicht leisten kann.
Wirklich durchschaut habe ich dieses Höflichkeitssystem zwar bis zum Ende meiner Reise nicht – aber ich habe beschlossen, diese wichtige Regel ab jetzt auch auf mein Weltbild anzuwenden: Man sollte immer dreimal fragen!
Was würdest du einer Frau raten, die in den Iran reist?
Als Frau muss man sich auf Hijab einstellen – die Kleidungsvorschrift: Arme und Beine bedeckt, langes Oberteil, Kopftuch. Was von einigen Iranerinnen übrigens sehr modisch und farbenfroh interpretiert wird: Das lange Oberteil fällt gerne mal sehr figurbetont aus. Das Kopftuch wird wie ein leichter Schal über eine kunstvolle Frisur drapiert, von der man mindestens die Hälfte noch sieht. Dazu perfekt geschminkt, inklusive Nagellack… Auch wenn man im Land gleichzeitig Geschichten von der Sittenpolizei hört, die angeblich „schlecht gekleidete“ Frauen auf der Straße rügt oder sogar mit aufs Revier nimmt. Ich habe diese Polizei zum Glück nie getroffen, aber ich habe mich in den zwei Monaten auch an die grundsätzlichen Regeln im Land gehalten, habe mich passend gekleidet, keinen Alkohol getrunken, keine illegalen Parties besucht, keine Drogen genommen.
Für Individualreisende gelten natürlich auch im Iran die weltweit üblichen Regeln für alleinreisende Frauen, auch wenn ich mich hier sehr sicher gefühlt habe. Und der Iran ist nicht das Land, in dem man ständig neue Reisegefährten in Backpacker-Hostels trifft – die gibt es da so gut wie nicht. Dafür lernt man aber umso mehr Iraner kennen!
Einige Iranerinnen haben mir übrigens erzählt, dass sie ohne die Begleitung eines männlichen Familienmitglieds nicht durchs Land reisen dürfen. Ich hatte allerdings nie Probleme deswegen – es gab lediglich ein paar interessierte Nachfragen von Iranern, die mich als alleinreisende, unverheiratete Frau sehr seltsam fanden. Vor der Reise hatte ich auch gelesen, dass eine Frau in der Öffentlichkeit keine fremden Männer ansprechen dürfe. Im Land habe ich das allerdings ganz anders erlebt, bin von allen angesprochen worden und „bunt gemischt“ mit vielen unverheirateten Iranerinnen und Iranern unterwegs gewesen. Was in der Öffentlichkeit für Frauen gelegentlich unangebracht sein kann, ist, einem fremden Mann die Hand zu reichen – ein gläubiger Muslim würde die nicht annehmen. Das wurde mir allerdings sehr höflich erklärt… Und definitiv sollte man aus meiner Sicht folgendes vermeiden: Zuviel Angst und Skepsis zu haben, denn dann verpasst man das Beste vom Land – die Menschen!
Foto Header: Benjamin Nadjib | digitalsalat
Ein sehr spannender Bericht, Danke!Habe das Buch gerade schon bestellt!
Sehr mutig, Hut ab!
aufregend, aber ich würde es nicht machen…
Definitiv mutig!