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Travelstories – ein deutsche Nonne in Dharamsala.

Vor einigen Wochen hatte ich ja bereits recht ausführlich von meinem 10 Tages-Kurs bei Tushita in Dharamsala berichtet – ein idyllisches Meditationscenter auf einer Höhe von 2.100 Meter inmitten eines dichten Waldes, in dem es mehr Affenbanden als Vögel gibt. Nochmals eine ganz eigene, unbekannte Welt also im Norden Indiens – schlappe 5.800 Kilometer von meiner Wahlheimat Hamburg entfernt. Wie man es von einem buddhistischen Meditationscenter erwartet, nahm uns am Einführungstag auch gleich eine buddhistische Nonne in Empfang, um das Check-In Prozedere der fast 100 Teilnehmer/-innen so schnell und reibungslos wie möglich über die Bühne zu bringen. Rote Kutte, rasierter Kopf – das passte alles ins Bild. Allerdings sah sie mit ihren blauen Augen und der hellen Haut doch schon ziemlich europäisch aus, was sich durch ihre verdächtig strukturierte Art und spätestens bei ihrer Begrüßung auch bestätigte. Kunphen (gesprochen Künpen) wie sie sich uns vorstellte, kommt eindeutig aus Deutschland…Großartig, dachte ich mir. Wenn diese Frau keine interessante Geschichte zu erzählen hat?! Sobald ich nach dem Retreat wieder sprechen durfte, habe ich sie also gefragt, ob sie für ein Interview zur Verfügung stehen würde – glücklicherweise hat sie zugestimmt. Ihre Geschichte vom Leben, Reisen und Lieben hat meine Erwartungen nicht enttäuscht!

Liebe Kunphen, vielen Dank, dass du Zeit gefunden hast. Die naheliegendste Frage zuerst: Wie lautet denn nun eigentlich dein deutscher Name und wo kommst du ursprünglich her?
Also geboren bin ich in der ehemaligen DDR in der Nähe von Magdeburg. Dort bin ich als “die Sabine mit den langen blonden Haaren aufgewachsen”. Seit dem ich zur buddhistischen Nonne konvertiert bin, lautet mein Name vollständig Tenzin Kunphen. Die Regel besagt, dass du immer den vorderen Namen desjenigen erhältst, der dich offiziell zur Nonne ernennt. In meinem Fall war das unser heutiger Dalai Lama “Tenzin Gyatso” – mein Lehrer hatte mich empfohlen und so ist es dazu gekommen. Ein Moment, den ich so schnell nicht vergessen werde…

Das kann ich mir vorstellen! Aber wie ist es dazu gekommen? Dein Weg von Magdeburg nach Tushita zu einem Leben als Nonne erscheint mir doch recht ungewöhnlich?
Oha…das frage ich mich auch oft und ist auch eine längere Geschichte. Karma vielleicht? Vorherige Leben, die mich hierher geführt haben? (lacht). Also, um ganz von vorne anzufangen. Ich habe im Rahmen meines Studiums der Sozialpädagogik nach dem Fall der Mauer ein Praktikum in New York gemacht. Ich hatte schon immer einen großen Faible für die englische Sprache – auch wenn wir in der DDR ja kaum damit in Kontakt gekommen sind. Ich bin also mit mehr schlechten als rechten Sprachkenntnissen über den Teich geflogen und habe am Ende 1.5 Jahre in New York verbracht, um in der Bronx in Frauenhäusern zu arbeiten. Eine intensive, aber auch sehr wichtige Zeit und die perfekte Vorbereitung auf meinen ganz eigenen Weg und die kommenden Jahre. Nicht nur, dass ich am Ende fließend Englisch gesprochen habe. Ich bin auch meiner Welt in Halle vollkommen entwachsen. Zurück in Deutschland bin ich nach Berlin gezogen, habe dort mein Studium abgeschlossen und kaum hatte ich den Abschluss in der Tasche, schon hatte ich das bedrückende Gefühl, in Deutschland stecken zu bleiben. Ich wollte nicht den allgemein gültigen Weg gehen, mir einen festen Job und eine Wohnung suchen. Kurzerhand habe ich mir also ein “Around the World Ticket” geholt, um noch mal was von der Welt zu sehen: Bangkok, Australien, Neuseeland, Fidchi, San Francisco, New York und zurück…das war der Plan.

Aber dann kam wahrscheinlich alles ganz anders?
Richtig! Eine Freundin aus Berlin war derzeit in Nepal. Ich buchte also einen Extraflug, um sie dort zu besuchen und bin dann auch gleich für die nächsten vier Monate geblieben, um zu hiken. Und wer schon mal in Nepal war weiß, dass Indien omnipräsent ist. So gut wie jeder, der nach Nepal reist, ist im Begriff nach Indien zu reisen oder kommt gerade von dort. Die Idee reifte also stetig – so dass ich mich auch irgendwann dorthin aufmachte. Meine Zeit als Sozialarbeiterin in New York hatte mich perfekt darauf vorbereitet – nichts konnte mich mehr wirklich schocken (lacht). Kaum war ich in Indien angekommen, wusste ich, das ist mein Land und habe mein Around-the-World-Ticket verkauft.

Und so bist du also in Indien gelandet. Aber das macht ja nicht jeden sofort zu einer buddhistischen Nonne. Wie und wann hattest du erstmalig Kontakt zum Buddhismus?
Ich habe in den vier Monaten in Nepal beim Hiken einen Amerikaner kennen gelernt, in den ich mich unsterblich verliebt habe. Grund für das jehe Ende unserer kleinen Romanze war ein einmonatiger “Lam Rim Meditation” Kurs in der Kopan Monastry in Nepal, an dem er teilgenommen hat – mein erster, wenn auch etwas schmerzhafter Kontakt mit dem Buddhismus (lacht). Immerhin hat es mich inspiriert, so dass ich mich irgendwann in Indien für verschiedene Kurse angemeldet habe, unter anderem auch hier bei Tushita in Dharamsala. Das hat mich schon alles beeindruckt und nicht mehr so ganz losgelassen. Irgendwann bin ich also wieder in Nepal bei eben diesem Center gelandet, an das ich ja eigentlich meinen Amerikaner verloren hatte. Natürlich, wie sollte es auch anders sein, stand er dann auch wieder vor mir – nur leider mit seiner neuen Freundin – schade irgendwie. Ich hatte somit so einiges, worauf ich meditieren konnte (lacht). Aber abgesehen von meinem Herzschmerz brachte mich dieses Retreat letztendlich so tief in das “Dharma” (die buddhistische Lehre des Lebens), dass es ein wichtiger Teil von mir wurde.

Und das hat dich dann alles so beeindruckt, dass du am Ende dann Nonne geworden bist?!
Ja, fast. Retreats haben es leider so an sich, dass du häufig mit mehr Fragen als Antworten wieder herauskommst. Auf der Suche nach Antworten habe ich mich von einem Workshop und Retreat ins Nächste gestürzt, fand mich irgendwann völlig im Dharma Stress und schon fast ausgebrannt. Glücklicherweise musste ich zwischen dem einen und dem anderen Dreimonats-Retreat nach Nepal, um mein Visum zu verlängern. Und siehe da, hier hatte ich eine Email von einem Australier im Posteingang, den ich ebenfalls einmal beim Hiken in Nepal kennengelernt hatte und äußert interessant fand. Mein geplantes Retreat habe ich noch durchgezogen, mich dann aber auch gleich danach mit meinem Australier in Sri Lanka getroffen. Aus der Sache entwickelte sich eine 4.5 Jahre lange On-Off-Geschichte: Gemeinsam reisen – zurück nach Deutschland um Geld zu verdienen – in acht verschiedenen Ländern haben wir uns wieder getroffen und irgendwann wurde mir auch hier klar: Das ist es nicht. Das bin nicht ich, was ich hier lebe. Er hatte seine Aufgabe erfüllt, mich aus meinem Dharma-Tunnel herausgeholt, nun war es aber auch an der Zeit, wieder meinen Weg zu gehen – ohne Umwege, aber auch ohne zu rennen. In Thailand war dann also irgendwann Schluss und ich bin wieder zurück nach Indien – wo ich auch wieder hier bei Tushita in Dharamsala gelandet bin. Eigentlich wollte ich nur als Volunteer ein paar Wochen bleiben. Rausgekommen sind nun schon 10 Jahre. Ich konnte mich wunderbar meinem Dharma-Studium widmen, durfte irgendwann die Programmkoordinatorin übernehmen und ja, bin hier wohl irgendwie hängen geblieben – nichts, was ich bereuen würde. Ich fing an den Buddhismus zu leben, er wurde ein Teil von mir und irgendwann während eines Retreats wurde mir klar, dass ich Nonne werden wollte. Ganz undramatisch – ich wusste es einfach und fühlte sich richtig an. Von da an ging alles ratz fatz. Ich habe meinen Lama (Lehrer) gefragt und der hat eingewilligt. Tja, und da bin ich nun!

Hattest du denn zuvor einen besonderen Bezug zu Religion?
Nicht wirklich. Es ging zwar an Weihnachten in die Kirche und ich bin auch getauft und konfirmiert – unter der Voraussetzung der Jugendweihe, das gehörte aber halt einfach dazu. Ich habe den Christentum nicht gelebt und hätte ich es gewollt, wäre es in der DDR wohl auch ziemlich schwer geworden.

Und wie konnte der Buddhismus dann solch einen Einfluss auf dich haben? Was unterscheidet ihn in deinen Augen von anderen Religionen?
Ich glaube, jeder Mensch fragt sich irgendwann einmal im Leben: “Wo ist der Sinn in meinem Tun, in meinem Sein?” Und gerade als Sozialpädagogin drängt sich diese Frage immer wieder auf. Du bist Zeuge wirklich harter Geschichten und Schicksale. Da fragst du dich irgendwann, warum mache ich das eigentlich? Der Buddhismus mit seiner Lehre von Karma, Widergeburt, Imprints und den “vier edlen Wahrheiten”, die besagen, dass es einen Grund für Leid gibt UND auch einen Ausweg daraus, hat mir geholfen, das Verhalten der Menschen besser zu verstehen und Freude und Hoffnung an meiner Arbeit und auch an meinem Leben zu finden. Wichtig ist, dass wir an den eigenen Motivationen arbeiten. Nur so sorgen wir für Freude in unserer Umgebung und Freude in unserem Leben.

Nun noch abschließend die wichtigste Frage des Interviews: Gibt es etwas, das du in Deutschland vermisst?
Ja! Deutsche Schokolade:-) Denn entgegen der Meinung vieler, ist es mir erlaubt, Schokolade zu essen. Ansonsten habe ich das Glück, dass ich mich allerorts recht gut assimilieren kann. Wo ich bin, bin ich glücklich. Das “Im-Moment-Leben” ist mir zum Glück in die Wiege gelegt worden. In meinen Augen ist es wichtig, Dinge NICHT für selbstverständlich zu nehmen – und gerade ein Land wie Indien hilft mir sehr dabei. Jeder Tag ist ein Geschenk, egal wo du dich befindest, ob die Sonne scheint oder ob es regnet. Ob wir gerade einen Pickel auf der Nase haben oder uns der Bus vor der Nase weggefahren ist. Und wie ein Geschenk sollten wir jeden Tag leben, jedem Menschen und ganz wichtig, vor allem uns selbst auch begegnen. Dann steht deinem, meinem und dem Glück anderer nichts mehr im Wege.

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Steffi Sarges

PR Beraterin & Yogalehrerin Ihr Lebensmotto “Don´t forget to play” kam bei all der Arbeit in den letzten Jahren etwas zu kurz. Darum hat sich Stefanie für 2014 dazu entschieden, wieder mit dem "Spielen" zu beginnen, tief durchzuatmen und das Jahr ihrer größten Leidenschaft zu widmen - dem Yoga. Während ihrer Reise durch Indien wird sie eine zweite Ausbildung machen, um sich danach vom roten Yogafaden leiten zu lassen - durch das Land und zu sich selbst. Von ihren Erfahrungen wird sie hier regelmäßig berichten.

F: Stefanie.Sarges W: instagram.com/stevexs

2 Kommentare auf “Travelstories – ein deutsche Nonne in Dharamsala.
  1. Simone sagt:

    Wow, ein sehr beeindruckendes und packendes Interview!! Wie war es denn für dich so lange nicht zu sprechen, Steffi? Das ist ja auch nicht gerade das einfachste der Welt;-)) Danke für den Input!

  2. Stefanie sagt:

    Liebe Simone, vielen Dank! 🙂 Jaja, Sabines Lebensgeschichte könnte tatsächlich ein ganzes Buch füllen..
    Schon nach kurzer Zeit habe ich es wirklich genossen, nicht zu sprechen. Der Geist kommt viel besser zur Ruhe & mir ist aufgefallen, wie häufig ich Sachen raushauen wollte – egal ob positiv, negativ oder neutral – die ich mir auch einfach sparen konnte:-) Eine mehr als bereichernde Erfahrung, kann ich nur empfehlen!

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