/ DIARY /

Mit Yoga heilen.

Wenn es dem Balisilentretreat an einer Sache nicht mangelt, dann ist das eine Vielfalt an Yogalehrern, die für mindestens zwei Wochen ins Retreat kommen, um als Volunteer zu unterrichten. Nicht umsonst durfte ich in den vier Wochen, die ich dort verbracht habe, mit insgesamt fünf verschiedenen Yogalehrern zusammenarbeiten. Wir alle haben unsere ganz eigene Geschichte, wie wir zum Yoga gekommen und im Retreat gelandet sind. Ganz besonders fasziniert hat mich allerdings die Story von Alison aus Australien. Von unserem Background, unserem Charakter und der Art zu unterrichten könnten wir unterschiedlicher kaum sein. Ihre ruhige, fast schon analytische Art Fragen zu stellen und auf Menschen zuzugehen, machte mich anfangs irgendwie ein bisschen skeptisch, ja fast schon nervös. Zwei Wochen und einige Unterhaltungen später, stand für mich aber fest, dass ich euch von ihrer Geschichte erzählen möchte. Ich bat sie also um ein kleines Interview, rund um ihre Erfahrungen mit Yoga, das sie in ihrer Arbeit mit Suchtpatienten, Asylanten, sozial benachteiligten Familien und traumatisierten Menschen eingesetzt hat, sowie am eigenen Körper im Kampf gegen Artritis!

Liebe Alison, vielen Dank, dass Du uns einen kleinen Einblick in Deinen ganz persönlichen Weg mit und durch Yoga gibst. Ich haus’ gleich raus! Du hast 18 Jahre als Sucht- und Gesundheitsberaterin mit sozial benachteiligten und traumatisierten Menschen gearbeitet. Das stelle ich mir alles andere als einfach vor?
Naja, sagen wir es mal so. Es ist auf jeden Fall eine Tätigkeit, die einem sehr schnell sehr nahe gehen kann und verschiedenste Facetten hat. Aus verschiedensten Gründen verlieren Menschen jeglichen Bezug zu sich selber und sind nicht mehr in der Lage, ein normales Leben zu führen. Das kann sich in Suchtverhalten jeglicher Form äußern, in unbegründeten Schmerzen im Körper, Depressionen, Aggressionen usw.

…und du hast es geschafft, deinen Klienten durch Yoga wieder Zugang zu sich selbst zu verschaffen, ist das richtig?
Ja, auch. Yoga hatte schon immer einen großen Stellenwert in meinem Leben. Als Kind litt ich an Arthritis, einer entzündlichen Gelenkerkrankung, die jede Bewegung ziemlich schmerzhaft macht. Ich war ständig auf der Suche nach einer natürlichen Methode, meinen Körper beim Heilen zu unterstützen, so dass ich irgendwann auch mit Yoga in Kontakt gekommen bin. Die Krankheit hat mich ein ganz eigenes Verhältnis zu meinem Körper aufbauen lassen. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich ein solides Vertrauen in meinen Körper aufgebaut hatte – ein Prozess, bei dem mir Yoga sehr geholfen hat. Dieses große Feld rund um “Vertrauen in den Körper” und welch wichtige Rolle der Kopf bei der Sache spielt, hat mich somit schon immer beschäftigt und dann auch meinen gesamten folgenden Lebensweg bestimmt.

Und dann hast du eine Ausbildung zur Yogalehrerin gemacht und hast dieses Wissen in deine Arbeit einfließen lassen?
Um meinen Patienten ganzheitlich zu helfen, musste ich mich dann doch ein bisschen tiefer in die Materie stürzen. Nach meiner Ausbildung zur Yogalehrerin in Vinyasa Flow habe ich schon erkannt, wie wunderbar sich Yoga in meiner Arbeit einsetzen lässt, habe aber auch gleichzeitig gemerkt, dass eine 200h Yogateacherausbildung für meine Zwecke bei Weitem nicht ausreicht. Die Erfahrung haben sicherlich schon einige vor mir gemacht: Die Ausbildung öffnete mir erst die Tür in eine Welt, die mir zuvor verschlossen war, zeigte mir aber im selben Moment auch, was ich noch alles lernen wollte. Yoga hat mir einmal mehr gezeigt, wie nah die Psyche und der Körper zusammenhängen und ich wollte diese Connection noch besser verstehen, um eben auch meinen Patienten helfen zu können, die in Suchtverhalten, unkontrollierter Aggression, Hass gegen sich selbst und andere oder tiefer Trauer wie gefangen sind.

Puuuh, keine leichte Aufgabe und das Feld Yoga ist natürlich riesengroß. Wo hast du angesetzt?
Am Körper und seinen Energiebahnen. Um zunächst den Körper an sich besser zu verstehen, habe ich angefangen, verschiedene Massage- und Heiltechniken zu lernen – wie beispielsweise Reiki. Und langsam aber stetig fing ich dann also an Yoga, Reiki und Massage in meine Arbeit zu integrieren. Es war wunderbar und gleichzeitig faszinierend mit anzuschauen, wie reine Körperwahrnehmung, Menschen wieder eine leise aber feine Verbindung zu sich selbst aufbauen lässt. Allerdings bin ich auch ziemlich schnell an Grenzen gestoßen. Man arbeitet mit einem Menschen, spürt für ein paar Tage eine Verbesserung, um dann recht schnell wieder mit anzusehen, dass die Patienten sehr oft wieder in ihre alten Muster verfallen. Denn leider werden die Grundlagen für psychische Erkrankungen meist in der Kindheit gelegt. Kurzum habe ich nochmal eine Weiterbildung in der Jugendarbeit gemacht, und habe begonnen, mit sozial benachteiligten Familien zu arbeiten.

Du warst also eine Art Super-Nanny (Ich habe ihr dieses TV-Format vor der Frage natürlich kurz erklärt), die mit den Kids Yoga gemacht hat, um sie auf den rechten Pfad zu bringen?
Ja, so in etwa kann man sich das vorstellen (lächelt). Ich bin in die Familien gegangen und habe versucht, den Kids im Alter von 12 bis 18 Jahren zu helfen, damit sie am Ende des Tages nicht vor lauter Frust abhauen und auf der Straße landen. Meine Arbeit hier bestand eigentlich hauptsächlich darin, die Familien wieder zueinander zu bringen…manchmal auch durch Sessions, in denen pures Körperbewusstsein Thema war. Ich habe einfach versucht, eine Brücke zwischen der regulären Arbeit als Sozialarbeiterin und meinem Wissen durch Yoga, Reiki und Körperbewusstsein zu schlagen.

Und das hast du ganz allein aufbauend auf deiner Ausbildung und deinen Erfahrungen entwickelt?
Nein, keinesfalls. Ich studierte außerdem mit Bessel A. van der Kolk, einer der ganz Großen der Traumaforschung. Zu seinen derzeitigen Forschungsprojekten gehören “Yoga in der Behandlung von posttraumatischen Störungen (PTSD)”. Hier wird vor allem die Kombination von psychologischen, biologischen, sozialen und neurophysiologischen Aspekten bei psychischen Folgen eines Traumas betrachtet – gerade mit Fokus auf die anhaltendenden entwicklungsstörenden Folgen früher Kindheitstraumata.
Nach und nach habe ich mein Wissen in meine Arbeit integriert – wie gesagt, ich arbeite nun schon seit 18 Jahren in dem Bereich und es war natürlich ein stetiger Prozess. Aber während ich dieses Wissen in meine Arbeit integrierte, wurde ich regelrecht Zeuge, was es mit Menschen macht, wenn sie wieder ihren Weg in den Körper finden. Durch einfache Übungen, durch sanftes Bewegen des Körpers fingen meine Patienten an, aufrecht zu stehen und ebenso aufrecht ihr Leben in Angriff zu nehmen – einfach nur, weil sie sich ihres Körpers wieder bewusst wurden.

Wie kann man sich das in etwa vorstellen?
Es ist einfach wichtig, die Menschen dazu zu bringen, dass sie sich wieder wohl und sicher in ihrem Körper fühlen. …und dazu muss man tatsächlich den Geist zunächst einmal beruhigen und leeren – durch Meditation, Pranayama (Atemtechniken) und Entspannungsübungen. Ich schaffe also rundum einen Raum, der den Körper ehrt und respektiert und in dem kein Platz für Ego und Scham herrscht. Durch ruhige und sanfte Asanas versuche ich ihnen die Weichheit zurückzugeben, die ihr Körper braucht. Auf diese Weise beginnen meine Patienten langsam aber sicher die positive und sanfte Energie zu spüren, die durch ihren Körper fließt. Sie lernen, ihre innere Stimme zu hören und das Leben blitzt wieder auf in ihren Augen…und das geht über jegliche sprachliche oder kulturelle Barrieren hinaus – was meine Arbeit mit Asylanten und Flüchtlingen gezeigt hat.

Hat deine Arbeit der vergangenen Jahre auch dein persönliches Yoga beeinflusst?
Auf jeden Fall! Meine eigene Yogapraxis kommt viel mehr von innen. Schon lange habe ich mich davon verabschiedet, bestimmt Posen “nun endlich mal können zu müssen”. Meine Praxis ist stiller und ruhiger geworden. Ich vertraue einmal mehr meinem Körper und vor allem der Kraft, die Yoga in der Therapie hat. Durch den Körper können wir den Geist erreichen und ihn heilen. Denn die Antwort liegt so oft in unserem Geist, mit dem wir uns gefühlt unüberwindbare Grenzen setzen. So oft wünschen sich Menschen Veränderung, die Angst davor und das “Das-ist-unmöglich-Denken” steht diesem Prozess allerdings im Wege. Allein durch die Arbeit mit dem Körper, können wir aber solche selbst auferlegten Restriktionen und die Angst überwinden. Und ich finde, das ist eine verdammt gute Nachricht!

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Steffi Sarges

PR Beraterin & Yogalehrerin Ihr Lebensmotto “Don´t forget to play” kam bei all der Arbeit in den letzten Jahren etwas zu kurz. Darum hat sich Stefanie für 2014 dazu entschieden, wieder mit dem "Spielen" zu beginnen, tief durchzuatmen und das Jahr ihrer größten Leidenschaft zu widmen - dem Yoga. Während ihrer Reise durch Indien wird sie eine zweite Ausbildung machen, um sich danach vom roten Yogafaden leiten zu lassen - durch das Land und zu sich selbst. Von ihren Erfahrungen wird sie hier regelmäßig berichten.

F: Stefanie.Sarges W: instagram.com/stevexs

3 Kommentare auf “Mit Yoga heilen.
  1. Constanze sagt:

    Tolles Gespräch, liebe Steffi. Zwei tolle Frauen.
    Man spürt durch die Worte, wie viel Liebe und Energie bei euch im Bali Silent Retreat vorhanden ist.
    Und es zeigt, wie gut es tut, wenn man durch z. B. Yoga sein Ego ausblendet. Aktuell wünscht man sich ganz besonders, die Welt würde Yoga praktizieren. Mit deinen Geschichten bringst du mir viel Liebe in meine alltägliche und oft bestürzende Nachrichtenflut. Danke! Xx, Constanze

  2. Stefanie sagt:

    Liebe Constanze, wow…ich bin ganz sprachlos und nun umso mehr motiviert, von meiner Reise und den tollen Menschen, die ich dabei treffen darf, zu berichten. Danke!

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