/ DIARY /

Wo bin ich, wer bin ich und wenn ja, wie viele?

Gerade habe ich meinen kleinen Travel-Altar auf der Kommode in meinem neuen Zimmer aufgebaut. Eine kleine Ganeshafigur, mein Mala aus Rishikesh, zwei Quotes, ein Bild und klar, Räucherstäbchen. Ich mag meinen Travel-Altar, er sorgt für ein Stück zu Hause auf meiner Reise, wird aber auch nur ausgepackt, wenn ich mich wirklich wohl fühle und weiß, dass ich angekommen bin. Zum dritten Mal, seitdem ich von Tushita “auf freien Fuß” gesetzt wurde, habe ich meinen Backpack gepackt, um mich in Dharamsala in einem neuen Zimmer einzurichten. Und zum ersten Mal habe ich das Gefühl, angekommen zu sein.
Die ersten zwei Nächte waren wir in einem Hostel, irgendwo auf einem Berg, fernab von allem Leben und wie wir dann später auch herausfanden, eine halbe Stunde Pfad-Stufen-Straße bergauf und bergab von Universal Yoga und dem Ashtangalehrer Vijay entfernt. Die logische Konsequenz, Sachen packen und in ein Zimmer in der Nähe des Studios ziehen – so richtig mittendrin – super schön auf den ersten Blick, aber mit der Zeit viel zu groß, viel zu laut und auch für indische Verhältnisse viel zu teuer. Also ging die Sucherei wieder von vorne los, bis meine Travelfreundin E. und ich zwischen einer Vielzahl von Stufen und Privathäusern ein Hostel mit hellen Zimmern und Blick auf das Tal mit seinen bunten Häusern und den im Wind wehenden buddhistischen Gebetsflaggen gefunden haben. Augenblicklich bin ich innerlich aufgetaut. Hinzu kommt das mittlerweile angenehm warme Wetter, die Sonne und die Tatsache, dass ich mich von drei Tagen Regen, Sturm und Gewitter in Folge erholt habe – so etwas hinterlässt bei mir als extrem wetterfühliger Mensch häufig Schockzustände und Schockstarre. Wirklich erstaunlich, wie viel (Kopf-)-Arbeit es doch immer wieder bedeutet, an einem fremden Ort anzukommen. Allerdings muss ich auch zu meiner Verteidigung sagen, dass Dharamsala für Neuankömmlinge ziemlich verwirrend sein kann: Zunächst einmal handelt es sich bei “Dharamsala” um einen eher weniger schönen Ort tiefer im Tal. Wir, die wir Yoga üben, zu buddhistischen Teachings gehen und auf Berge kraxeln wollen, möchten nach McLeod Ganj oder Dharamkot. Das sind zwei Orts-Teile, die weiter oben am Berg liegen, der Einfachheit halber aber unter dem Namen Dharamsala zusammengefasst werden. Das man als Touri dorthin möchte und nicht nach Lower Dharamsala, wird einem allerdings erst klar, nachdem man vom Overnightbus auf dem Berg ausgesetzt wurde. McLeod Ganj stellt das Zentrum dar. Hier sind die meisten Shops, der Dalai Lama Tempel, einige Yogalehrer eine riesengroße Auswahl an Restaurants und Cafés (die Cappuccino mit echtem Milchschaum anbieten) und…natürlich auch den meisten Menschen. Dharamkot ist um einiges ruhiger, äußerst “layed back” und wird der großen Anzahl israelischer Traveler mit einem großen Angebot an Humus und Falafel gerecht. Egal ob McLeod Ganj oder Dharamkot, beide Ortsteile haben sehr wenig mit dem in unserer Vorstellung existierenden Indien gemein. Vielmehr handelt es sich dabei um eine bunte Mischung aus tibetischen, indischen und japanischen Einflüssen. Das spiegelt sich in der Bevölkerung, im Essen, im ganzen Vibe wider. Tatsächlich erschrecke ich mich jedes Mal zutiefst, wenn ich nach indischer Manier auf der Straße hinterrücks angehupt werde, weil es irgendwie so gar nicht ins Bild passt. Und auch kulinarisch reihen sich indische Dhals, Currys und Chapati weit hinter den allseits beliebten tibetischen Teigtaschen – den Momos – ein, die es für umgerechnet 20 Cent an jeder Straßenecke zu kaufen gibt, und die sich auf der Beliebtheitsskala ein Kopf an Kopf rennen mit einem japanischen Restaurant liefern, dessen Erlös teilweise für gute Zwecke gespendet wird.
An die deutsche Kaffekultur fühle ich mich erinnert, wenn ich nachmittags im Café von tibetischen Mönchen in roten Roben umgeben bin, die es sich schööööön bei Kaffee- Kuchen gut gehen lassen – dabei findet man sie entweder im Gespräch oder vor ihren iPads, iMacs oder ihrem iPhone. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie habe ich noch immer die veraltete Vorstellung, Mönche und Nonnen hätten mit neuester Technik nichts am Hut, so dass ich immer zweimal hinsehen und über meine altmodischen Vorurteile schmunzeln muss. Wenigstens lassen mich die Mönche in ihren traditionellen Roben nicht ganz so unstylisch aussehen, denn – das muss ich leider zugeben – underdressed bin ich hier mit Sicherheit. Yogatights und weite Schlabberhosen tragen hier nur die Touris – der gemeine McLeod Ganjer oder Dharamkoter trägt coole Sneaker, Jeans im used look und je nach Wetter auch mal Lederjacke. Und wo wir doch gleich auch wieder beim Wetter sind. Auch das macht, was es will und wechselt täglich, wenn nicht dann stündlich. Die Sonne kommt raus, ich möchte mich unter den nächsten Wasserfall stürzen (davon gibt es hier zwei), die Sonne wird von Wolken bedeckt, ich wünsche mir meinen dicksten Strickpulli. Kurzum, in Dharamsala kommt es einfach immer anders als man denkt. Umgeben von all diesen Kontrasten und Unvorhersehbarkeiten laufe ich also entsprechend verwirrt durch die Gegend und frage mich “wo bin ich, wer bin ich und wenn ja wie viele?” In Rishikesh erschien mir alles so einfach – aufstehen, Yoga 12h am Tag, schlafen, Punkt. Hier aber habe ich das Gefühl, ständig mit Sinnesfragen konfrontiert zu werden – egal ob im “daily life”, auf der Yogamatte, während der Drop-In Meditation bei Tushita oder den nachmittags stattfindenden Teachings zu tibetischem Buddhismus. Was will ich, was ist wirklich wichtig, wer bin ich und sollte ich wirklich glauben, was ich denke? Und wenn nicht, was denn dann? Schon diese Suche nach “dem perfekten Zimmer”, immer mit der Hoffnung, nun endlich Ruhe zu finden. Ich weiß, dass ich mich zimmertechnisch ständig verbessert habe und nun auch zufrieden damit bin. “In Ruhe” lassen wird mich dieser Ort allerdings nicht – mit dieser Präsenz des Dalai Lama, die auch zum Greifen Nahe scheint, wenn er sich nicht gerade hier aufhält. Ein Mindfullness-Bootcamp der Extraklasse. Und obwohl ich glaube, schon Muskelkater im Hirn zu haben, bin ich verdammt dankbar für diese einmalige Gelegenheit, zu hinterfragen und neue Gedanken-Wege zu gehen. Und wie sagt man doch so schön, “Indien gibt dir das, was du brauchst.

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Steffi Sarges

PR Beraterin & Yogalehrerin Ihr Lebensmotto “Don´t forget to play” kam bei all der Arbeit in den letzten Jahren etwas zu kurz. Darum hat sich Stefanie für 2014 dazu entschieden, wieder mit dem "Spielen" zu beginnen, tief durchzuatmen und das Jahr ihrer größten Leidenschaft zu widmen - dem Yoga. Während ihrer Reise durch Indien wird sie eine zweite Ausbildung machen, um sich danach vom roten Yogafaden leiten zu lassen - durch das Land und zu sich selbst. Von ihren Erfahrungen wird sie hier regelmäßig berichten.

F: Stefanie.Sarges W: instagram.com/stevexs

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