/ DIARY /

Samasthiti auf Koh Phangan.

Waaaaas? Du fährst nach Koh Phangan? Aber da laufen doch alle nur in schrägen neonfarbenen Klamotten rum und sind noch besoffen von der Full-Moon-Party des Monats zuvor. Und ist da nicht auch Agama “Yoga”? Die Lehrer springen doch immer mit ihren Studentinnen ins Bett, weil sie ihnen angeblich Zugang zu ihre “weiblichen Seite” verschaffen wollen. Boah, da willst du echt hin?…so oder so ähnlich die Reaktion, als ich meinen Plan unterbreitete, 20 Stunden von Bangkok aus nach Koh Phangan zu reisen. Warum habe ich mir das also trotzdem “angetan”? Die Antwort ist einfach: Auf Koh Phangan regnet es im Vergleich zu den anderen Inseln in der Regenzeit so gut wie gar nicht und Sonne und Meer sind damit all inclusive. Darüber hinaus hatte mir meine Freundin K. dringlichst das “Yoga Retreat” ans Herz gelegt und dessen Yogalehrerin Lisa Ogletree, die Pattabhi Jois autorisiert ist und im Retreat die Ashtanga Mysore Klassen unterrichtet. Autorisiert zu sein heißt, mindestens vier Jahre hintereinander das “K. Pattabhi Jois Ashtanga Yoga Institute” (KPJAYI) in Mysore/Indien besucht zu haben, um dort Ashtanga zu studieren. Und wenn man besonders positiv auffällt, erhält man vielleicht die Autorisierung…hat ein bisschen was von zum Ritter geschlagen werden. Und von ihr unterrichtet zu werden – das wollte ich mir dann doch nicht entgehen lassen.

Ein leises Räuspern: “Samasthiti”

Ob in leise Gespräche vertieft, beim Dehnen besonders hartnäckiger Muskelgruppen oder in stiller Meditation – wir lassen alles stehen und liegen und finden uns am Anfang unserer Matte ein – kerzengerade, die Händflächen berühren sich in Namaskar Mudra vor der Brust, die Ellbogen entlang des Körpers, unsere Augen geschlossen. In Call and response stimmt Lisa das Ashtanga Mantra an und die Mysore Class im “Yoga Retreat” Koh Phangan beginnt:

Om

Vande gurunaam chaaranara vinde

Sandar shita swaatma sukhava bhode

Nishrey yase jaangalika yamane

Samsara haala hala moha shantye

Abahu purusha karam

Shankha chakraasi dharinam

Sahasra shirasam shvetam

Pranamaami patanjalim

Om

Das Shala ist rechteckig geschnitten und zu einer der längeren Seiten zum Jungle hin offen. Wir haben unsere Matten in zwei Reihen angeordnet, so dass sich ca. 12 Ashtangis mit dem Gesicht zueinander gegenüber stehen. Das stetige Rauschen des Ujjayj Breath erfüllt das Shala, während jeder für sich und doch irgendwie alle gemeinsam ihre Ashtanga Praxis beginnen. Fünf Surya Namaskar A, fünf B, die standing postures, bis es dann irgendwann auf den Boden geht. Jede Asana und jeder Seitenwechsel gefolgt von einem Vinyasa – (Sprung in Chaturanga – Updog-Downdog-Sprung in den Sitz). Brücke, Schulterstand, Kopfstand und die Bandhas läuten dann das Ende der Serie ein und wir dürfen nach ca. 90 Minuten und gefühlt 1000 Chaturangas nassgeschwitzt ins wohl verdiente Savasana – die Endentspannung eintauchen. Soweit kein großer Unterschied zu den Ashtanga Mysore Klassen, die ich in Rishikesh und Dharamsala besucht habe. Mit Lisa habe ich allerdings einmal mehr gelernt, dass Ashtanga strikten Vorgaben folgt und jede einzelne Asana korrekt und weitestgehend ohne Modifikationen durchgeführt werden sollte. Man kann sich das in etwa wie eine Medizin vorstellen, zusammengesetzt aus Asanas, die auf unser Nervensystem einwirken. Umso wichtiger ist es daher auf seinen Körper zu hören, um ihm auch die richtige Dosis an Medizin zu verabreichen. Lisas Aufgabe ist es dabei, mit individuellen Adjustments auf die persönliche Yogapraxis jedes Einzelnen einzugehen, uns tiefer in die Asanas zu verhelfen und uns teilweise auch mächtig in den Hintern zu treten. Im selben Moment aber auch zu spüren, wann Schluss ist. Egal ob sie uns durch so genannte “hands on adjustments” den Weg in die Asana weist oder einfach nur nebendran steht und schaut – schummeln ist nicht und genug ist erst, wenn es nicht weitergeht und wir alles in jeder einzelnen Asana gegeben haben. Das Ergebnis: Einige Asanas oder “Gewohnheiten”, die sich mit der Zeit so eingeschlichen haben, musste ich umlernen – und auch wenn ich am Anfang natürlich absolut gar keinen Bock darauf hatte, mir meine Praxis vollkommen umkrempeln zu lassen – erst dadurch habe ich viele Asanas erst so richtig verstanden und wage zu behaupten, mich dadurch um einiges weiterentwickelt zu haben. Und so kämpfen, stemmen, atmen, stretchen, halten und schwitzen wir bis zum Ende mit all unserer Kraft und werden Teil einer Ashtanga-Dynamik, die durch Lisas besondere Ausstrahlung der morgendlichen Mysore Class eine spezielle Energie schenkt.

Und warum erzähle ich euch davon? Weil ich durch Lisa mal wieder erfahren durfte, wie sehr uns die tägliche Yogapraxis einen Spiegel vor die Nase hält. Während sie mich in einigen Asanas gefühlt wieder von vorne hat anfangen lassen, hat sie mich durch intensive Adjustments so tief in andere Yogapositionen hineingeführt – da hätte ich im Traum nicht dran gedacht. Wie so oft ist es nämlich nicht der Körper, sondern der Geist, der uns einflüstert “so weit kann ich nicht gehen”. Und wie häufig geht es aber eben doch, wenn man bewusst, mit Köpfchen und Herz dabei ist, ohne Eile, ohne unnötiges Drängen ohne falschen Ehrgeiz. Und hier bedarf es eben eines guten Lehrers, der uns dabei hilft, unsere gesunden Grenzen, aber auch unserer Kapazitäten zu erkennen. Und diesen Lehrer finden wir – wenn wir ehrlich sind – nicht neben uns stehend, sondern in unserem Herzen. Es bedarf eben nur jemanden, der uns dieses Lehrers bewusst werden lässt. Liebe Lisa, vielen Dank dafür!

Share Button
Steffi Sarges

PR Beraterin & Yogalehrerin Ihr Lebensmotto “Don´t forget to play” kam bei all der Arbeit in den letzten Jahren etwas zu kurz. Darum hat sich Stefanie für 2014 dazu entschieden, wieder mit dem "Spielen" zu beginnen, tief durchzuatmen und das Jahr ihrer größten Leidenschaft zu widmen - dem Yoga. Während ihrer Reise durch Indien wird sie eine zweite Ausbildung machen, um sich danach vom roten Yogafaden leiten zu lassen - durch das Land und zu sich selbst. Von ihren Erfahrungen wird sie hier regelmäßig berichten.

F: Stefanie.Sarges W: instagram.com/stevexs

Kommentar schreiben

E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*