Gefährliche Krallen unter samtenen Tatzen. Und Mähne, so viel Mähne. Während zarte Lefzen tödliche Schneidezähne verstecken. Das ist das Widersinnige am Löwen: Zu gern würden wir ihm die Hand entgegenstrecken, durchs Fell fahren oder bis zur weichen Nasenspitze die Stirn nachziehen – doch die Angst, nicht nur den kleinen Finger zu verlieren, sondern die ganze Hand, ist so bezwingend, dass sie den Gegenüber in ohnmächtige Starre versetzt. Und obgleich er sich durch die goldenen Augen direkt in die Seele blicken lässt, bleiben zwischen seinem mächtigen, pulsierenden Herzen und dem eigenen meist mindestens ein Katzensprung zu viel als nötig, um ihm wirklich nah zu sein. Nicht der Wolf im Schafspelz, aber die Schmusekatze im Raubtier beschreibt seinen Konflikt. So ertappt er sich selbst, wenn er den Kopf auf einer fremden Brust ablegt, um sich in wohligem Schnurren zu verlieren, und entscheidet – je nach Sonnenstand und Pupillenweite –, ob er bereit ist, sich für einen kurzen Augenblick zu ergeben. Und weil Raubtiere dem inneren Drang nach dem Gefühl auf der Jagd zu sein nicht entkommen können, bleibt der Gejagte des Löwen im ewig Unklaren, sich die Zunge nicht vielleicht zum letzten Mal gemeinsam am Kaffee an diesem Sonntagmorgen verbrannt zu haben. Was zurückbleibt, ist ein leichtes Taubheitsgefühl gepaart mit dem Wunsch danach, bald wieder schmecken zu können. Denn was er anrührt, der Löwe, erfährt Spuren – ganz gleich, wie sanft die Absichten waren. Vergessen wird daher nicht zur Option, sondern eher die Wichtigkeit dieser Lektion. So finden wir uns wieder, in der freien Wildbahn, Ausschau haltend und die Antwort auf die Frage suchend, ob wir beim nächsten Mal mutiger sein können.
Bildquelle: IzaIza
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